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Wie viel Hochwasserschutz ist notwendig? – Planung und Maßnahmen

von | 14. Jul. 2022

Extremereignisse wie die Überschwemmungen im Ahrtal vor einem Jahr zeigen deutlich, dass der Hochwasserschutz in Deutschland noch nicht ausreichend ist. Das Wasserhaushaltsgesetz, das Siedlungen und Gebäude schützen soll, verfolgt zwar einen risikobasierten Ansatz. Es orientiert sich jeweils am größten Hochwasserereignis, das in den vergangenen 100 Jahren im jeweiligen Gebiet vorgekommen ist. Doch Hochwasser, Überflutungen und Starkregen werden künftig häufiger und gewaltiger auftreten als in den vergangenen Jahrzehnten – und der bisherige Grundschutz oft nicht mehr ausreichen.

Folgende Maßnahmen kommen für einen erhöhten Schutz in Frage:

Schutzmaßnahmen am potenziellen Schaden ausrichten

Risikobasierter Hochwasserschutz orientiert sich am potenziellen Schaden. Maßstab ist dabei mindestens das größte Hochwasserereignis der vergangenen 100 Jahre (HQ 100), besser das der vergangenen 500 Jahre (HQ 500). Übersteigen die Baukosten von neuen Schutzmaßnahmen den Schaden, der an den Gebäuden und der Infrastruktur entstehen kann, nehmen die Behörden in manchen Bundesländern von der Umsetzung der Maßnahmen Abstand. Ist beispielsweise in Baden-Württemberg der erwartbare Schaden kleiner als die Projektkosten eines Hochwasserschutzes, kann der Schutzgrad reduziert werden, bis die Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen gegeben ist.

Den Schutzgrad auch an der Wirtschaftlichkeit auszurichten, ist ein durchaus zielführendes Vorgehen für die Behörden. Der Hintergrund ist die immense Höhe der möglichen Schäden: In Deutschland beliefen sich die Schäden aus der Flutkatastrophe 2021 laut Münchner Rück auf insgesamt 33 Milliarden Euro.

Planung des Hochwasserschutzes individuell anpassen

Von ganz Deutschland gibt es Hochwassergefahrenkarten, die die Bundesländer online zur Verfügung stellen und die Ingenieuren und Architekten als Planungsgrundlage bei Neu- und Umbauten dienen. Doch wir alle wissen, dass mit dem Klimawandel mehr und mehr Extremwetterereignisse auf uns zu kommen, sodass die Werte der Hochwassergefahrenkarten schon jetzt vorsorglich angepasst werden sollten. Manche Länder haben das bereits im Blick, doch der Trend muss sich noch durchsetzen.

Im Ahrtal zeigt die Analyse, dass selbst mit einem nach den aktuellen Gefahrenkarten recht umfänglichen Hochwasserschutz wenig erreicht worden wäre. Wir werden damit leben müssen, dass wir die sehr extremen Ereignisse nicht komplett abdecken können. Die Planer müssen beim Blick auf die Gefahrenkarten verstärkt auch den Überlastfall beachten, wenn die HQ-100-Maßnahmen nicht mehr ausreichen. Sollten sich präventive Maßnahmen hier als wirtschaftlich erweisen, ist die Planung entsprechend anzupassen.

So lassen sich gefährdete Gebiete schützen

Für den Schutz von Städten und Gemeinden vor Hochwasser bietet sich ein dreifacher Schutz an. Jede einzelne Maßnahme sollten die Planer ausreichend berücksichtigen (wobei in Gemeinden meist mehr Raum dafür verfügbar ist als in Städten, wo Lösungen cleverer gedacht werden müssen):

  1. Natürliche Rückhaltemöglichkeiten für das Wasser nutzen, z.B. Auenwälder, Muldenflächen, Moore oder landwirtschaftliche Felder, die bereits in den akkuraten Überflutungskarten der Behörden erfasst sind.
  2. Technische Schutzvorrichtungen bauen, um größere Wassermengen umleiten, schneller durchleiten oder rückhalten zu können, etwa durch Ufermauern oder künstliche Rückhaltebecken.
  3. An den Worst Case denken und Hochwasservorsorge betreiben.

Letzteres bedeutet für die Kommunen, dass sie Notfallkonzepte benötigen. Der Informationsablauf im Krisenfall muss organisiert sein, Sandsäcke sollten bereitliegen, Dammsperren eingerichtet sein. Übungen sind notwendig und auch die Bevölkerung muss aufgeklärt werden: Wie muss der oder die Einzelne sich verhalten, um sich zu schützen?

Wasserabfluss gewährleisten, Gewässern Raum geben

Für die Entwässerung von Liegenschaften ist das Kanalnetz ein wesentliches Element. In Deutschland sind die meisten Kanäle für Niederschlagswasser sehr alt und können maximal Wassermassen bis HQ 5 oder HQ 10 abführen – bei einem HQ-100-Ereignis hingegen ist das System überlastet. Die Gullis können das Wasser nicht schlucken. Das Kanalnetz auf ein HQ-100-Ereignis auszubauen wäre jedoch nicht nur unwirtschaftlich, sondern auch schwer umsetzbar – und angesichts des oben genannten dreifachen Schutzes auch nicht die optimale Lösung.

Eine alternative Lösung zeigt ein Blick in die Schweiz: Wir könnten Hochwasserkorridore auf den Straßen planen. Die Schweiz hat hierfür einen sogenannten Gewässerraum festgelegt: Platz, den ein Gewässer haben sollte, um auch bei Hochwasser keine Gebäude zu gefährden und ökologisch wertvolle Gewässerfunktionen zu ermöglichen. Es kommt vor, dass in diesem Raum bereits Gebäude stehen, die einen Objektschutz benötigen. Aber im definierten Gewässerraum dürfen keine neuen Gebäude errichtet werden – auch nicht dort, wo ein Haus abgerissen wurde.

Objekte individuell vor Hochwasser schützen

Wenn ein Objekt im Gewässerraum steht und einen besonderen Hochwasserschutz benötigt, helfen Drainagen nicht. Zu den Maßnahmen, die Objekte resilienter machen, gehören beispielsweise größere Fundamente, auf denen die Mauern erhöht werden können. Doch können Gebäude nicht nur höher gebaut werden, auch wasserdichte Fenster und Türen, Schotts für Tiefgaragen und eine Nachverdichtung im Raum sorgen im Ernstfall für zusätzlichen Schutz.

Im Grunde sollte bei der Planung aller Objekte auch eine sogenannte „nasse Vorsorge“ mitgedacht werden: Was passiert beispielsweise, wenn Wasser ins Gebäude eindringt, und wie kann der Schaden minimiert werden? Es geht darum, die Heizung und Strom zu sichern, die Haustechnik nicht unbedingt im Keller zu installieren etc. Für diesen Schutz ist jeder Objektbesitzer selbst verantwortlich und er wird von manchen Versicherungen auch gefordert.

Besonderen Schutz benötigen Sonderrisiko-Objekte, die auch bei Naturgefahren wie Hochwasser reibungslos funktionieren müssen. Insbesondere die Strom- oder Wasserversorgung sollte niemals ausfallen, denn die Folgeschäden sind hoch. Hier sollte der Hochwasserschutz stets im Einzelfall bewertet und eingerichtet werden.

Verantwortung der Ingenieure und Architekten

Das Risikomanagement bei Hochwasser muss im Grunde jede Kommune selbst betreiben, doch gibt es oft Nachlässigkeiten wegen mangelnder Regulierung. Es besteht beispielsweise keine Verpflichtung für die Kommunen, in die Hochwasserkarten zu schauen, bevor ein neues Bauvorhaben startet. Architekten und Bauingenieure sollten deshalb wachsam sein und bei Bedarf auf den Hochwasserschutz aufmerksam machen.

Jeder Planer sollte in seinem Studium von den diversen Planungsmöglichkeiten und Maßnahmen für den Hochwasserschutz gehört haben. Eine umfassende, zielführende Vorsorge ist zwar aufwendig, im Katastrophenfall sind gute Schutzmaßnahmen jedoch unerlässlich. Wir haben in Deutschland immer noch nicht das notwendige Schutzlevel erreicht – ob bei Städten, Gemeinden oder Objekten. Doch wir kennen die Schwachstellen. Nun gilt es, die notwendigen Maßnahmen auch so schnell wie möglich auf den Weg zu bringen – denn das nächste Hochwasser wartet bekanntlich nicht.

Timo Heinisch

Timo Heinisch

Timo Heinisch, Professor für Bauingenieurwesen an der IU Internationale Hochschule, ist seit fast zwei Jahrzehnten Experte für Hochwasserschutz. Seine Schwerpunkte bei der Lehrtätigkeit liegen im Tiefbau, insbesondere im Wasserbau. Im Rahmen seiner Praxistätigkeit in diversen Ingenieurbüros betreute er verschiedene Klein- und Großprojekte aus dem Tiefbaubereich in Deutschland und der Schweiz von der Konzepterstellung bis zur Realisierung.

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